Sunday 6 November 2011









Seid wieder einmal gegrüßt aus Machakos, Kenia!

nachdem wir vorletzte Woche hier in Machakos Quartier gefunden haben, hat sich hier alles soweit eingespielt: unter der Woche findet die Projektarbeit statt: das Wissenschaftsministerium hat zwei Kollegen zu uns geschickt, die mit uns einige Unis, Forschungseinrichtungen und Fachschulvertreter interviewt haben, um die Schwachstellen im jetzigen Innovationssystem zu ermitteln: da kam auch eine Menge positiver Kritik, und die kommt einem so aus der heimatlichen Hochschulpraxis  nicht unbekannt vor: die Uni-Lehrpläne sind zu lebensfremd, die zentralen Verwaltungen zu behäbig, die Budgets zu schmal, die Professoren vermitteln den Studenten zu wenige Praktika und Kontakte in der Außenwelt, das Patentsystem ist zu kompliziert, und es ist zu schwierig, an Unternehmens- und Gründerhilfen heran zu kommen, also eine Menge Gebiete, wo wir Empfehlungen machen können in unserem Abschlussbericht. Anbei zur Illustration auch ein Händeschütteln mit dem Vizeminister Prof. Kiamba, der uns Mut gemacht hat auf dem langen Weg: er sagte er wüsste, dass es Tausend Probleme gäbe, aber irgendwo müsse man ja mal anpacken... das werden wir sicher beherzigen.

Der Alltag im Straßenverkehr hat uns bei den vielen Dienstreisen zugegebenermaßen etwas zugesetzt: man muss viel viel Geduld und ggf. ein Hörbuch mitbringen auf den stundenlangen Staustrecken: generell fehlen Straßen rund um die Hauptstadt, und ein richtiges Bus-System: beides ist aber in Arbeit, wie riesige Baustellen verkünden.  Zu den Glanzleistungen der kreativen kenianischen Fahrkunst, die unser Fahrer zum Glück nur sparsam einsetzt, zählen dabei:
- im Staufall Ausweichen auf die Gegenseite der Autobahn oder gar aufs freie Feld neben der Straße, wo man jeweils langsam dem Matsch bzw. dem verärgertem Gegenverkehr trotzt, um sich gegen alle Fairness nach vorne zu mogeln
- Überholen, auch wo es physisch definitiv nicht möglich ist (bspw. nachts auf der Kuppe in einer Kurve: wenn's ernst wird kann man immer noch herüberziehen und die Überholten zwingen, eine Vollbremsung zu machen)
- Chaotische Spurwechsel, die mit dem Einfahren in den Kreisel auf die Abbiegespur enden, wo man wendet und über die Botanik in die Gegenseite abkürzt und dort alles aufhält beim Versuch, den Unterboden über den 30cm hohen Bordstein per Einsatz vom stumpfem Vollgas drüberzuwuchten
Hach, wenn man das alles bloß auch dürfte in meinem Berufsverkehr, denkt man dann... aber ernüchternd war neuerdings, an einer Unfallstelle vorbeizufahren, wo aufgeregte Passanten Decken mit leblosen Menschen von der Straße tragen. Leider kommt die Ambulanz erst nach Stunden, so dass man am nächsten Tag in der Zeitung lesen muss, dass 21 Leute gestorben sind, weil einem Lkw die Bremsen versagt haben und eine Massenkarambolage entstand....Dann doch lieber brave 55 Meilen in Connecticut.

Nun zu positiveren Themen: An den letzten beiden Wochenenden kamen wir dazu, die diversen berühmten Nationalparks (bspw. Masai Mara, Nakuru-See usw.) einmal in Augenschein zu nehmen inkl. der wunderbaren Tierwelt (Beispiele aus nächster Nähe anbei). Es sind jeweils ein paar Stunden Fahrt mit Übernachtung im Buschzeltlager, inkl. nächtlicher Elefanten-Trötkonzerte. Tagsüber fährt man dann im Jeep herum und nervt die armen Löwen beim Schlafen... die meisten Tiere ignorieren die Menschen aber einfach, verständlich bei den vielen Besuchern. Was man final dazu festhalten muss: ein noch so guter Tierfilm ist kein Vergleich zum echten Erleben.... wenn so ein Elefantenbulle einem Meter neben Einem einen unschuldigen Baum in seine Teile zerlegt, vergisst man alle Tiersendungen.

Am letzten Freitag waren wir bei der nahe gelegenen privaten "Daystar University" zum Mentoring im Informatikinstitut eingeladen: die Studenten waren extrem neugierig und schlau, gut motiviert und haben sich von uns über Karrieren in der IBM und anderswo in der IT-Branche informieren lassen. Außerdem haben wir über die Demokratie diskutiert und einiges über die letzten Jahre in Kenia erfahren, und wie froh die Jüngeren sind, dass es jetzt endlich freie Presse und Radio gibt, und die Politik nicht mehr ganz so korrupt und selbstbezogen ankommt. Einige wollen sogar nächstes Jahr mit kandidieren für die Wahlen. Das ist einiger Fortschritt, denn einige haben in den letzten Wahl-Unruhen von 2007/2008 Angehörige verloren und sind sich des Wertes der politischen Teilhabe wohl bewusst. Man wünscht sich, dass so mancher nörgelnder Bürger im Westen das süße Leben in Freiheit etwas mehr schätzen würde, statt es als gegeben hinzunehmen....aber das ist wohl menschliche Natur. Da hilft, einmal andere Beispiele kennenzulernen.

Bei der Rückfahrt kamen wir auch einmal in den Genuss der sog. Choma-Restaurants, sind sind kleine Grillbuden am Straßenrand, wo frisches Fleisch sofort auf den Holzgrill gelegt wird. Man kommt da hin, probiert erstmal alle verschiedenen Sorten (Rind inkl. Innereien und Leber, wie auch Ziege, Hammel, Huhn). Dann bekommt man am Platz sofort ca. 1 kg der Wahl auf ein Holzbrett runtergeschnitten inkl. einem Häufchen Salz und Beilagen dazu (üblicherweise Grünkohl [schmeckt wie in Norddeutschland erstaunlicherweise], Salat oder Süßkartoffel), und dann beginnt man mit den Fingern aufzuessen .. hmmmm ...
Allerdings haben nur 3 von 12 Kollegen das lebensmittelgewerbeaufsichtsamtlich sicher bedenkliche Abenteuer gewagt, die anderen haben Reißaus genommen und in einem Restaurant gegessen; aber "nur die Harten kommen in den Garten" heißt es ja so schön :-) Mein Verdauuungssystem hat es bisher gut überstanden, aber wenn man's recht bedenkt, kann auch nicht viel passieren: mangels Kühlung ist ja alles vom selben Tag (und schmeckt auch so). Die Tiere kommen aus der Gegend, und fressen außer Gras nichts anderes: Chemie ist also auch kein Thema.

Heute morgen fand dann "Id" statt, das höchste islamische Fest der Saison. Ich nahm die Gelegenheit wahr, die örtliche recht formschöne Moschee in Augenschein zu nehmen: hier gibt es eine kleine Gemeinde von ca. 200 anwesenden Gläubigen, und der ferne Besucher wurde sogleich zum Feiern mit eingeladen: ich dürfte mit dem Gemeindevorsteher (Imam) mit laufen, allen Familienoberhäuptern offiziell vorgestellt, und es ging zunächst in sein Haus, wo alle 200 Leute erstaunlicherweise irgendwie hineinpassen und noch erstaunlicherweise umgehend alle mit Tee und Essen versorgt wurden (die Logistik dahinter würde ich gerne wissen). Dann wird von Haus zu Haus weitergezogen: der Imam segnet zunächst am Eingang das Haus, zündet dazu im Flur Weihrauch an und dann gehen alle hinein und essen, trinken und schwatzen noch einmal. Nach ca. 10 Häusern weiter ist dann wirklich jeder satt, und man trifft sich wieder im größten Haus am Ort (das dem örtlichen Mittelschuldirektor gehört), und dort steigt dann eine große Party mit  Live-Musik, und natürlich noch mehr Essen. Alle sind in afrikanischer Feiertagstracht, was eine Unmenge von Farben bedeutet, und ich muss zugeben dass der viele Weihrauch mich auch eine Weile etwas beduselt hat. Jedenfalls habe ich jetzt mehrere Hunderte neue Freunde (deren Namen ich leider alle wieder vergessen habe) und werde auf der Straße erkannt. da fühlt man sich gleich noch mehr zuhause. Der Punkt "lokale Lebenswelt kennenlernen" ist damit auch mehr als abgehakt...

Danach war dann erstmal Ausruhen angesagt; wir haben zur Nachmittags-Entspannung in der Gruppe eine kleine Wanderung auf den Feldwegen rund um die grünen Hügel von Machakos gemacht, das war neben der Bewegung auch in sozialer Hinsicht sehr kurzweilig: die Berge sind dicht mit Bauernhäusern bevölkert, und die diversen Kinderscharen haben uns auffällige Mzungus (= Weiße) natürlich sofort gefunden und zum Fußballspielen und anderem Zeitvertreib animiert. Dann kamen auch gleich die Mütter herbeigelaufen: einige waren gleich gekleidet, und es stellte sich heraus dass sie gerade von der Kirche kamen und dort im Chor mitsingen. Zum Beweis wurden wir mit lautmächtigen Swahili-Gospels besungen, was dann eine spontane Party auf der Dorfstraße auslöste... der Rest war dann wiederum lebensweltliches Wohlgefallen.

Jetzt aber genug der Spontan-Partys (morgen wird wieder gearbeitet :-) ... und ich grüße Euch bis demnächst,

Euer Bahram